Risiko Blackout – Krisenvorsorge für Wirtschaft, Gesellschaft und Kommunen

Risiko Blackout – Krisenvorsorge für Wirtschaft, Gesellschaft und Kommunen

Die aktuelle sicherheitspolitische Lage führt dazu, dass sich Kommunen, Behörden und Unternehmen auf Stromausfälle vorbereiten.

Wie ist die derzeitige Lage?
Die Marke Deutschland bröckelt, nicht erst seit gestern. Die Bundesrepublik Deutschland steht derzeit vor gewaltigen Herausforderungen. Noch haben wir mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie zu kämpfen, die zum Teil schwerwiegende Versäumnisse des Krisenmanagements in Deutschland offenbart hat. Aber auch die Hochwasserkatastrophe im vergangenen Jahr hat zu Diskussionen rund um das System des Bevölkerungsschutzes geführt. Hinzu kommt seit Februar 2022 ein Krieg auf europäischem Boden, welcher unser Land in eine nie dagewesene Inflation und Energiekrise gestürzt hat. Abschließend erleben wir einen schwelenden Konflikt zwischen China und Taiwan sowie nicht zuletzt die besorgniserregenden Entwicklungen im Bereich der Inneren Sicherheit. Neben einer Zunahme von extremistischen Gefahren aus dem linken, rechten sowie islamistischen Raum, erleben wir zudem eine neue Bedrohungslage, die nahezu jede Woche ein neues prominentes Opfer findet.

Die Angriffe aus dem Cyberraum mit dem Ziel der Erpressung, Spionage oder der Manipulation und Zerstörung von Informations- und Steuerungstechnologie, auch im Bereich der zivilen und der militärischen kritischen Infrastruktur, stellen mit heutigem Stand ein enormes Schadenspotenzial dar.

Abwehrmechanismen, um diesen Angriffen etwas entgegenzusetzen, haben wir bis bislang nicht ausreichend etabliert. Aber auch die Klimaveränderungen, Dürren und Überschwemmungen vor allem in den armen und teils fragilen Staaten Afrikas und Asiens, die in Verbindung mit bewaffneten Konflikten, starkem Bevölkerungswachstum und wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit zu einer weiteren Flucht und auch zu illegaler Zuwanderung nach Europa beitragen werden, führen zukünftig zu einer weiteren Spaltung unserer Gesellschaft und zwangsläufig zu innerstaatlichen Konflikten.

Vernetzung der Inneren und äußeren Sicherheit?
In dem aktuellen Sicherheitsumfeld ist die herkömmliche Trennung von innerer und äußerer Sicherheit nicht mehr angemessen und praktikabel. Gerade bei internationalen Einsätzen entspricht das Denken in klar abgegrenzten Kategorien von Frieden und Krieg und einer strikten Trennung polizeilicher und militärischer Aufgaben nicht mehr den tatsächlichen Anforderungen und Gegebenheiten und muss neu justiert werden. Vor diesem Hintergrund braucht Deutschland auch eine angepasste Sicherheitsarchitektur, in der alle Akteure aus den verschiedensten Ressorts und auf unterschiedlichen Ebenen gemeinsam definierte Ziele verfolgen. Ein fallweises und oft improvisiertes Schnittstellenmanagement reicht nicht mehr aus.

Unsere föderale Sicherheitsarchitektur wird den heutigen und zukünftigen Anforderungen nicht mehr standhalten. Die nationalen und internationalen Konflikte und Spannungen führen zu einer Verunsicherung unserer Gesellschaft. Die Medien berichten tagtäglich über die momentanen Entwicklungen.

Dadurch entsteht Angst und Unsicherheit in der Bevölkerung. Deutschland steht vor einer Bewährungsprobe, wenn die denkbaren Szenarien eintreten.
Kommen wir zu dem hier und jetzt. Dabei beginnt es bei grundlegenden Sorgen, der Bürgerinnen und Bürger:

  • Gibt es ausreichend Gas zum Heizen?
  • Kann ich mir eine warme Wohnung noch leisten?
  • Kann mich der Staat hinreichend schützen?

Von der Bundesregierung erhoffen sich viele Menschen Antworten und vor allem Entlastungen. Allerdings gibt es große Zweifel am politischen Krisenmanagement der Bundesregierung. Gefragt nach der aktuell größten Sorge angesichts der steigenden Energiepreise gaben bei einer jüngsten Umfrage des Forschungsinstitut Civey 61 % der Teilnehmenden an, dass sie fehlende politische Lösungen befürchten. 54 % fürchten mögliche gesellschaftliche Konflikte.

Doch die Bürgerinnen und Bürger sind nicht die einzigen, die diese Entwicklung mit Sorge betrachten. Das Bundeskriminalamt sieht aufgrund der Energiekrise und hoher Inflation in den kommenden Wochen wachsende Gefahren für die Innere Sicherheit in Deutschland. Die Behörde rechnet mit De-monstrationen und Straftaten wie bei den Protesten gegen Coronamaßnahmen seit Beginn der Pandemie, „wenn ein beachtlicher Bevölkerungsanteil gefühlt oder tatsächlich durch politische Entscheidungen in existenzbedrohende Situationen gerät“. Bereits in der Corona-Pandemie haben sich neue Formen von Bürgerprotesten etabliert, die sich über Messenger-Dienste wie Telegram mobilisieren und weitere Anhänger rekrutieren. Die Intensität von Aktivitäten und Aufrufen zu Protestaktionen steigt derzeit massiv an. Gerade Gruppierungen wie die sogenannten Reichsbürger oder die Identitäre Bewegung haben mit dem Staat ein neues Feindbild gefunden. Hinzu kommt, dass sich der Hass und auch zukünftige Gewaltaktionen gegen Repräsentanten des Staates, vorwiegend Polizeivollzugsbeamte, richten wird.

Das Bundeskriminalamt hat darüber hinaus auch Versuche von Islamisten registriert, die die derzeitige Krisenlage für sich nutzen. Es wurde bereits zu Anschlägen auf die „wirtschaftliche Infrastruktur“ aufgerufen. Ein Sprecher der Dschihadistenmiliz Islamischer Staat hat dazu aufgerufen, den Krieg Russlands gegen die Ukraine und die instabile politische Lage in Europa auszunutzen.

Doch was ist, wenn nichts mehr geht? Was passiert, wenn in Deutschland die Lichter ausgehen?
Das Beispiel Kritische Infrastrukturen und deren Ausfall eignet sich für die Darstellung der momentanen Lage ausgezeichnet. Vor allem zeigt dieses Beispiel, wie wir möglicherweise sehenden Auges in eine Katastrophe geraten, die zumindest bei einer proaktiven Gestaltung von Notfallplanung und Krisenmanagement hinsichtlich der Auswirkungen eingedämmt werden könnte. Die Funktionsfähigkeit und Stabilität der modernen Gesellschaft ist von einer funktionierenden Infrastruktur und Stromversorgung abhängig. Ein Stromausfall durchbricht dieses funktionierende System. Dabei sind die denkbaren Ursachen für einen Stromausfall nahezu grenzenlos – seien es Cyberangriffe auf die Versorgungsinfrastrukturen, Naturkatastrophen oder gezielte Sabotage.

In der jüngsten Vergangenheit kam es in Deutschland immer wieder zu lokalen Schadensereignissen und einhergehenden Ausfällen der Stromversorgung. Von einem langanhaltenden und flächendeckenden Stromausfall sind wir in Europa bislang glücklicherweise verschont geblieben. Doch das ist längst kein Anlass, sorgenfrei in die Zukunft zu blicken. Der Stromausfall im Ahrtal im Jahr 2021 infolge Starkregens hat klar aufgezeigt, wie schnell ein Extremwetterereignis Tausende Menschen für Wochen vom Strom und somit auch weitestgehend von der Außenwelt isolieren kann.

Ein langanhaltender und flächendeckender Stromausfall hätte massive Auswirkungen auf Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. Doch wie sehen diese Auswirkungen konkret aus? Wie funktionieren das europäische Stromnetz und die -verteilung? Welche Interdependenzen bestehen zwischen den einzelnen Sektoren? Und vor allem: Wie sind die staatlichen Institutionen, die Bürgerinnen und Bürger sowie die Wirtschaft auf ein solches Szenario vorbereitet? Auf all diese Fragen konnten wir bislang noch keine hinreichenden Antworten finden. Gerne möchte ich versuchen, Ihnen ein paar Problemstellungen und Gedanken vor Augen zu führen.

Wir können sagen, dass die Versorgungssicherheit in Deutschland mit elektrischem Strom im internationalen Vergleich sehr hoch ist. Allerdings kommen die Ereignisse näher und eine mögliche Verschärfung der Gasknappheit stellen ein echtes Problem dar. Zusätzlich gibt es zunehmende Sabotageakte gegen die Kritischen Infrastrukturen. Die Auswirkungen eines Blackouts, also eines großflächigen und langanhaltenden Stromausfalls, sind nicht neu. Wir haben bereits im Jahr 2004 mit der LÜKEX-Übung in Deutschland zum Thema Stromausfall erste Erkenntnisse gewonnen. Durch das Grünbuch Öffentliche Sicherheit des Zukunftsforums Öffentliche Sicherheit und des Berichts des Büros für Technikfolgenabschätzung im Deutschen Bundestag wurden die möglichen Auswirkungen konkretisiert.

Die Maßnahmen in Politik, Wirtschaft, Behörden und Gesellschaft? Überschaubar. Zwar hat Elsberg mit seinem Roman „Blackout – morgen ist es zu spät“ das Thema in einen gesellschaftlichen Diskurs lenken können, damit aber noch kein Umdenken erreicht. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass die Selbsthilfefähigkeit der Bürgerinnen und Bürger auch weiterhin optimierungsfähig ist. Bei dem Blackout handelt es sich um das zivile „worst-case-Szenario“.

Auch die Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben und die öffentlichen Verwaltungseinrichtungen wären in einem erheblichen Maß betroffen und nicht mehr voll handlungsfähig.

Was gibt es für Handlungsbedarf für Staat und Wirtschaft?
Ein Blackout ist das „Worst-case-Szenario“, das alle Bereiche des öffentlichen Lebens und der Gesellschaft erfasst. Nur wenn alle Akteure sich der gemeinschaftlichen Verantwortung bewusst werden, kann zukünftig einem solchen Szenario begegnet werden. Deutschland braucht ein grundsätzliches Umdenken in der Sicherheitspolitik und eine Neugestaltung der föderalen Sicherheitsarchitektur, um gerade auch bei Störungen der lebenswichtigen Infrastruktur handlungsfähig zu bleiben. Viel zu lange Zeit wurde das Szenario Stromausfall (politisch) ignoriert und ausgeblendet.

Unter Berücksichtigung der globalen Entwicklungen, zunehmender Naturkatastrophen, der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus, Agitationen extremistischer Gruppierungen gegen Energiekonzerne und eine stetig wachsende Anzahl von Cyberangriffen ergibt sich das zwingende Erfordernis, Wirtschaftseinrichtungen bzw. Kritische Infrastrukturen, deren Ausfall zu erheblichen Auswirkungen auf die öffentliche Sicherheit oder der gesellschaftlichen Ordnung führen könnten, besonderen Schutzmaßnahmen zu unterziehen.

Alle Wirtschaftsbereiche hängen von der Stromversorgung und/oder den Sektoren der Kritischen Infrastruktur ab. Umso länger ein Stromausfall andauert, desto mehr stromabhängige Infrastrukturen brechen zusammen. Für die Unternehmen stellt das Szenario Stromausfall eine extreme Herausforderung dar. Neben der Tatsache, dass das wirtschaftliche Handeln und die Produktion im Regelfall zum Erliegen kommen, entsteht ein hoher Schutzbedarf für die Unternehmensstandorte und die Verkaufsstellen. Es ist davon auszugehen, dass Menschen aus Verzweiflung Taten begehen (z. B. „Plünderungen“), die rechtsstaatlichen Ansprüchen nicht gerecht werden.

Erforderliche Notfallpläne seitens der Kommunen oder der privatwirtschaftlichen Akteure sind nicht oder nur unzureichend vorhanden. Eine abgestimmte Notfallvorsorge zwischen Privatwirtschaft und der öffentlichen Hand zur Aufrechterhaltung der Versorgungsstrukturen, erscheint zwingend notwendig.

Kooperation zwischen Behörden und Unternehmen muss verbessert werden
Grundsätzlich sind alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, einen Stromausfall zu verhindern. Hierfür ist eine stärkere Vernetzung und Zusammenarbeit zwischen der Privatwirtschaft und den staatlichen Stellen (z. B. Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder) zwingend erforderlich.

KRITIS-Unternehmen müssen über die Erkenntnislage (z. B. Aktivitäten von ausländischen Nachrichtendiensten oder extremistische Gruppierungen zum Nachteil von Unternehmen) unterrichtet werden. Darüber hinaus ist es erforderlich, die Betreiber von Kritischen Infrastrukturen in staatliche Instrumente des Informations- und Ressourcenmanagement (z. B. über das Gemeinsame Melde- und Lagezentrum des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe) zu integrieren.

Notfallvorsorge in Unternehmen etablieren
Ein längerfristiger und großflächiger Stromausfall stellt eine hochkomplexe Lage mit zahlreichen Implikationen für die Wirtschaft dar. Zahlreiche Unternehmen sind hierauf nicht oder nur unzureichend vorbereitet. Ein besonderes Augenmerk ist dabei auf die Betreiber der Kritischen Infrastrukturen zu richten, da diese einen Versorgungsauftrag wahrnehmen. Es ist daher sicherzustellen, dass Unternehmen Eigenvorsorge für einen Stromausfall treffen. Dieses Szenario ist in die Notfall- und Krisenplanung der Einrichtungen zu integrieren und regelmäßig zu üben. Hierfür stellt beispielsweise das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) erforderliche Unterlagen zur Verfügung.

Resilienzmodell in Kommunen schaffen
Die Resilienz in den Kreisen, Städten und Gemeinden muss erhöht werden. Dazu wäre es zielführend, eine Resilienzstrategie auf kommunaler Ebene zu erarbeiten und die Position eines Resilienzmanagers zu etablieren, der in enger Abstimmung mit dem Oberbürgermeister respektive dem Landrat den Resilienzansatz koordiniert und das Thema als Querschnittsaufgabe in enger Abstimmung mit den anderen relevanten Bereichen – auch mit der Privatwirtschaft – abstimmt. Bisher verfolgt – anders als in anderen Ländern – keine deutsche Stadt diesen umfassenden und vernetzten Resilienzansatz.
Welche Probleme ergeben sich aus der Sicherheitspolitik?

Deutschland steht vor den historisch größten sicherheitspolitischen Anstrengungen. Diese lassen sich zukünftig nur gemeinsam bewältigen.
Wir müssen ein vernetztes Denken und Handeln in der föderalen Sicherheitsarchitektur erreichen. Dabei ist es elementar, dass wir uns proaktiv und vorausschauend mit den Risiken von morgen beschäftigen. Ein reaktives Handeln, das geprägt ist von politischen Interessen, wird zukünftig nicht die richtige Antwort auf Katastrophen, Großschadenslagen, neue Formen von Organisierter Kriminalität, Terrorismus und gewaltsamen Bürgerprotesten sein.

Kann der Staat dabei noch alles alleine richten? Es ist erforderlich, über den Tellerrand zu schauen und zu überlegen, welche Maßnahmen und Akteure staatliche Ressourcen zukünftig entlasten kann. Der Staat hat zwar das Gewaltmonopol, aber kein Sicherheitsmonopol. Dabei müssen wir ohne Denkverbote mit den Möglichkeiten und den Bedarfen auseinandersetzen.

Last but not least, müssen wir die guten Erkenntnisse der Sicherheitsforschung deutlich stärker als bisher in die Anwendung transferieren.

Quellenangaben
Bild: Blackout concept von Serhii Moiseiev auf www.stock.adobe.com

Dr. Christian Endreß
Dr. Christian Endreß kommissarischer Geschäftsführer des ASW Bundesverbands. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema Sicherheit. Nach Tätigkeiten für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben arbeitete und promovierte er von 2009 bis 2012 am Lehrstuhl für Sicherheitsforschung der Universität Witten/Herdecke und war im Anschluss für die Privatwirtschaft tätig. Er ist Autor und Herausgeber zahlreicher Fachpublikationen sowie Lehrbeauftragter an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung des Landes NRW im Bereich Polizei.
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